Der erste Morgen

Die erste Nacht in der neuen Wohnung liegt hinter uns und sie war anstrengend.
Die ungewohnte Umgebung ließ die Katze irgendwie kaum zur Ruhe kommen.
Schlaf gab es nur Etappenweise, aber trotzdem fühl ich mich ganz gut ausgeschlafen.

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No Responses to “Der erste Morgen”

  1. judex sagt:

    Das erinnert mich an meine erste nacht in meinem neuen Haus:
    In meinem Buch „Adieu Justitia“ habe ich sie beschrieben.
    http://die-andere-seite.jimdo.com/

    Das Potenzwasser

    Dr. Prell hatte sich ein Grundstück am Rande der Kleinstadt gekauft und ein Einfamilienhaus darauf gebaut. Das Anwesen hatte eine schöne Lage: Auf den einen Seite lag ein Fluss, auf der anderen eine Felswand. Das Wasser des Flusses hatte also das Grundstück im Laufe der Jahrtausende aus dem Felsen heraus gespült. Das Ganze war eine Idylle wie aus einem Bilderbuch.
    Als Dr. Prell die erste Nacht in seinem neuen Haus verbrachte, konnte er nicht einschlafen. Lag es an der freudi­gen Aufregung oder an der feucht-frischen, belebenden Luft, die vom Fluss her durchs offene Fenster in sein Schlafzimmer strömte? Er musste einfach noch einmal hinaus und so schlich er sich aus dem Ehebett in den Garten und staunte: An der Felswand bewegte sich der Schein einer Taschenlampe.
    „Was machen Sie denn hier?“ rief Dr. Prell ins Dunkel hinaus mit der Folge, dass die Taschenlampe ausgeknipst wurde und man eilige Schritte hörte, die sich entfernten.
    Merkwürdig, dachte Dr. Prell, der sich das nächtliche Erlebnis nicht erklären konnte.
    Als er seiner Frau davon erzählte, konnte sie entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit nur einen kurzen Kommentar abgeben:
    „Eigenartig!“
    Dr. Prell hatte das unbestimmte Gefühl, dass sich der Vorfall wiederholen könnte. Als er sich abends ins Bett legte, schlief er unruhig und erwachte gegen Mitternacht. Er schlich wieder heimlich aus dem Schlafzimmer in den Garten und starrte in das dunkle Gebüsch an der Felswand, die im Mondlicht weiß glänzte. Zu sehen war nichts, aber plötzlich war ein leises Klicken zu hören, als wenn Metall gegen die Felsen stieß. Dr. Prell schlich unter Ausnutzung von schattigen Flächen zur Felswand. Als er dort ankam, trat er auf einen Zweig, der laut krachend auseinander brach. Daraufhin hörte er erst ein Scheppern, als wenn etwas zu Boden gefallen wäre, und dann war klar vernehmbar, dass jemand davon lief.
    „Stehen bleiben, oder ich schieße!“ rief Dr. Prell einer plötzlichen – wie er hinterher fand: blöden – Eingebung folgend.
    Die Reaktion war nicht so wie erwartet. Jemand lachte lauthals aus dem Dunkel und antwortete:
    „Vergiss aber nicht, deine Brille aufzusetzen!“
    Dr. Prell war zornig, weil er machtlos war: Er hatte natürlich keine Pistole und hätte auch natürlich niemals geschossen, was der Mann im Dunkel offensichtlich wusste. Dieser kannte ihn also offenbar, was ja kein Wunder war, denn Dr. Prell war von Beruf Richter und bei Leuten in solchen Positionen wusste in der Kleinstadt jeder, wen er vor sich hatte. Dr. Prell dachte kurzfristig daran, den Unbekannten zur Rede zu stellen, aber wie sollte er das machen: einfach ins Dunkel hinein schreien? Und worauf sollte er sich berufen, nachdem er sein Grundstück noch nicht eingezäunt hatte?
    Am anderen Morgen ging Dr. Prell wieder in den Garten, um zu schauen, ob er an der Stelle, wo er etwas fallen hörte, fündig würde. Und tatsächlich lag dort eine blecherne Milchkanne. Direkt bei der Kanne ragte aus der Felswand ein kleines Rohr heraus, aus dem Wasser tröpfelte.
    „Komisch!“ seufzte Dr. Prell. Als Richter war ihm nichts so zuwider wie solche Unklarheiten. Alles deutete darauf hin, dass jemand nachts Wasser holen wollte, aber warum, wenn es doch ganz einfach aus der Wasserleitung zu haben war. Es musste also ein besonderes Wasser sein, schloss Dr. Prell messerscharf.
    Am Feierabend untersuchte er das Rohr an der Felswand. Im feuchten, brüchigen Tuffgestein fand er einen alten verfaulten Holzkasten, der einmal dazu gedient hatte, das in einem Felsriss ablaufende Wasser zu sammeln. Als er öffnete, fand er darin verfaultes Laub und tote Frösche. Er beschloss, bei Gelegenheit die ganze Anlage zu erneuern und einen hübschen Brunnen anzulegen.
    Als er mit einem alten Nachbarn, der schon als Kind hier gelebt hatte, über die Ereignisse sprach, löste sich das Rätsel seiner unruhigen Nächte:
    Zwischen Fels und Fluss verlief seit unvordenklichen Zeiten ein Wanderweg, der zu einer Waldkapelle führte. Entlang des Weges waren verschiedene Quellen gefasst worden. Eine hieß „Kaltes Bründl“ und diente den Pilgern als Labung. An anderer Stelle befand sich das „saukalte Bründl“, wo die Wanderer ihre müden Füße mit einer Kneippkur erfrischten. Schließlich gab es das „Augenwasser“ in der Nähe der Waldkapelle. Man schrieb ihm wundersame Kräfte für das Sehvermögen zu. Und noch eine vierte Quelle verzeichnete in früheren Zeiten starken Besuch, nämlich die auf dem Grundstück von Dr. Prell: Sie spendete Wasser für Männer, die unter Potenzschwierigkeiten litten oder unfrucht­bar waren. Wie man hörte, soll die Wirkung dieser Quelle so gewaltig gewesen sein, dass auch Männer ohne solche Proble­me sich das Wasser zur Steigerung ihrer Potenz geholt hatten. Dies hatte – so die Überlieferung – einen Sittenverfall in der Kleinstadt zur Folge gehabt. Es war zu so häufigen Ehebrü­chen gekommen, dass mit den Bußgeldern, die von den Priestern bei den Osterbeichten verhängt wurden, eine neue Pfarrkirche gebaut werden konnte. Aber dann hatte die Geist­lichkeit eingegriffen und von der Kanzel verkündet, dass das Sündenwasser ab sofort vergiftet würde. So war die Quelle langsam fast in Vergessenheit geraten. Und in der heutigen Zeit, in der man potenzsteigernde Mittel erfunden hatte, erinnerte sich kaum jemand an die Geschichten, die früher einmal über das Wasser erzählt worden waren.
    Nachdem Dr. Prell erfahren hatte, was es mit dieser Quelle in seinem Garten auf sich hatte, tat er sich mit dem Lokalredakteur der Zeitung zusammen und schrieb für ihn einen Artikel. Darin schilderte er, dass das Wasser, das überall aus dem Tuffstein hervor lief, die gleiche Zusammensetzung und also auch dieselbe Wirkung habe. Man möge daher das Wasser der kalten Bründl benutzen, die sauber gefasst seien. Bei anderen nicht gepflegten Quellen bestehe die Gefahr schwerer Infektionen, da tote Frösche und verfaultes Laub das Wasser verunreinigen würden. So erreichte Dr. Prell, dass Ruhe auf seinem Grundstück einkehrte.
    Als er dann später einmal die Quelle an der Felswand neu fasste und das Wasser in einem Steintrog auffing, war seine Frau von diesem Werk begeistert und ermunterte ihn:
    „Nun trink aber auch, damit wir sehen, wie es wirkt.“
    Aber darüber hat Dr. Prell nie etwas verraten.